Vom 29. Mai bis 1. Juni fand in Wunsiedel ein stark besetztes Open statt, in dem Liviu-Dieter Nisipeanu als Favorit startete. Der neue deutsche Nationalspieler blieb hinter den Erwartungen zurück und landete mit 5,0 Punkten auf Platz zehn. Mit 5,5 Punkten teilten sich acht Spieler die Tabellenspitze, dank der besten Zweitwertung wurde allerdings Evgeny Romanov zum Sieger gekürt.
Das Meisterturnier des 8. Wunsiedeler Schachfestivals war mit zwölf Großmeistern und zahlreichen weiteren Titelträgern erstaunlich stark besetzt. Fünf Spieler mit einer Elo-Zahl von über 2600 Punkten fanden den Weg in die bayerische Kleinstadt an der Grenze zu Tschechien und Liviu-Dieter Nisipeanu ging als Nr. 1 ins Rennen. Der 37-jährige Rumäne, der seit dem 1. April für den deutschen Schachbund spielberechtigt ist, startete mit zwei Pflichtsiegen, verlor aber in der 3. Runde völlig überraschend gegen den erst 15-jährigen italienischen FM Francesco Rambaldi (Elo: 2413) - müssen wir uns diesen Namen jetzt merken?
1. d4 ♘f6 2. c4 g6 3. ♘c3 d5 4. ♗g5 ♘e4 5. ♗h4 ♘xc3 6. bxc3 dxc4 7. e3 ♗e6 8. ♘f3 ♗g7 9. ♗e2 ♘d7 10. 0-0 ♘b6 11. a4 a5 12. ♕c2 0-0 13. ♖fb1 ♕e8 14. ♘d2 ♗d7 15. ♘xc4 ♗xa4 16. ♕e4 ♗c6 17. ♕xe7 ♘xc4 Beide Spieler sind bestens vertraut mit dieser Variante der Grünfeld-Indischen Verteidigung. Mit dem letzten Zug weicht Rambaldi von der Vorgängerpartie ab und forciert ein Endspiel, das Schwarz scheinbar genug Gegenspiel gibt. In diesem Zusammenhang sei mir erlaubt auf unsere Top-Videoserie "The Grünfeld according to Svidler" hinzuweisen. In über zwölf Stunden widmet sich hier der weltweit größte Experte dieser Eröffnung allen Varianten und Systemen der Grünfeld-Indischen Verteidigung - eine der stärksten Eröffnungen für Schwarz, offensichtlich so stark, dass nominell deutlich schlechtere Spieler wie Rambaldi gegen starke Großmeister wie Nisipeanu bestehen können.
17... ♘d5 wie in Vuckovic,B (2623)-Sutovsky,E (2695), Moskau 2011, ist auch nicht von der Hand zu weisen. Schwarz hatte nach 18. ♕xe8 ♖fxe8 19. ♖c1 a4 ebenfalls Gegenspiel.
18. ♗xc4 ♕xe7 19. ♗xe7 ♖fb8 Weiß besitzt die Majorität im Zentrum und Schwarz am Damenflügel. Diese scheint mir persönlich einen Tick gefährlicher zu sein, da einfacher in Gang zu setzen.
20. ♗d3⁉ Weiß lässt den Vorstoß des b-Bauern zu, der auf Dauer allerdings nicht zu vermeiden war. Mit
20. ♗b5 kann Weiß die b-Linie vorübergehend blocken, aber nach z.B. 20... ♗xb5 (20... ♗e4 21. ♖b2 c6 22. ♗e2 b5 ) 21. ♖xb5 b6 22. ♔f1 ♗f8 23. ♗xf8 ♔xf8 24. ♔e2 c6 setzt er seine Bauern in Gang. Der weiße König eilt allerdings schnell zu Hilfe, so dass die Bauern am Damenflügel keine allzu große Gefahr darstellen sollten. Die Stellung dürfte sich im dynamischen Gleichgewicht befinden.
20... b5 21. ♖b2 ♗f8 Dieser Tausch gefällt mir. Der Läufer auf g7 tat nicht viel, während der Läufer auf e7 auf der Diagonale a3-f8 verteidigte und auch aktiv stand. Außerdem kann jetzt der schwarze König aktiviert werden - ein entscheidender Faktor in diesem Endspiel.
22. ♗xf8
22. ♗f6⁈ kommt nicht wirklich in Frage, da Schwarz die Kontrolle über die Diagonale a3-f8 erhält und seine Bauern weiter gefährlich vorstoßen kann.
22... ♔xf8 23. f3 b4⁈ Eine interessante Entscheidung, aber objektiv wahrscheinlich zweifelhaft. Schwarz hätte diesen Vorstoß auch vorbereiten können, er möchte aber keine Zeit verlieren und scheut auch nicht vor einem Bauernopfer, um schnell einen Freibauern zu bilden.
24. cxb4 ♖xb4 25. ♖c2 ♗d5 26. ♖xc7 a4 27. ♖c3 ♖b3 28. ♖xb3 ♗xb3 Eine interessante Stellung. Weiß hat einen Bauern mehr, aber der schwarze Freibauer ist weit vorgestoßen und bindet die weißen Figuren - insbesondere den Turm, dementsprechend besitzt Schwarz die Initiative. Die entscheidenden Fragen, die mir im Kopf rumschwirren, lauten: 1. Kann Weiß die Initiative des Gegners eindämmen und seinen Vorteil im Zentrum letztendlich sogar verwerten? 2. Spielt sogar Schwarz auf Gewinn, indem er z. B. seinen König aktiviert, so dass er am Damenflügel entscheidend eingreifen kann?
29. ♖a3! So einen Zug macht man ungerne. Es gibt kein Feld auf dem Brett, auf dem der Turm passiver stehen würde. Aber Weiß musste den a-Bauern blocken. Interessanterweise "glaubt" das Computerprogramm Houdini, dass Weiß hier etwas besser steht. Das scheint mir eine Fehleinschätzung, denn die schwarze Aktivität sollte den Minusbauern locker kompensieren, oder lieg ich falsch?
29... ♔e7 30. ♔f2 ♔d6 31. e4⁈ Eine Ungenauigkeit, nach der Schwarz am Damenflügel rechtzeitig kommt.
31. ♔e2! ♔c7 32. ♔d2 ♔b6 und jetzt 33. ♗c2! klärt die Verhältnisse am Damenflügel. Schwarz muss den Läufer tauschen und in ein Turmendspiel übergehen: 33... ♗xc2 34. ♔xc2 ♔b5 35. ♔c3! ♖c8+ 36. ♔b2 und Weiß hat den a-Bauern unter Kontrolle gebracht. Ob sein Vorteil im Zentrum letztendlich zum Gewinn ausreicht ist eine andere Frage, aber es ist klar, dass hier nur der Anziehende auf Gewinn spielt. Houdini scheint im Endeffekt recht gehabt zu haben - wen wunderts?
31... ♔c6 32. ♔e3 ♔b6 33. ♖a1 Die Idee
33. ♔d2 ♔a5 34. ♗c2 funktioniert jetzt nicht wegen 34... ♔b4 und Weiß hat Probleme.
34... ♔b4 sieht für mich logischer aus. Nach 35. ♔d4 a3 36. d6 a2 möchte Houdini völlig trocken mit 37. ♗b1 den Läufer für den Bauern geben. Nach 37... axb1Q 38. ♖xb1 ♖a2 39. ♔d3! ♖a7 40. e5 scheint sich die Stellung im Gleichgewicht zu befinden. Die starken Freibauern kompensieren ein wenig den materiellen Nachteil und die Fesselung des Läufers auf b3 erweist sich als sehr unangenehm.
35. ♔d4 ♔b4 36. ♔e5 Wollte Weiß zuviel, oder bestand Zeitnot und es wurde nicht mehr genau gerechnet? Darauf lassen die nächsten Züge schließen.
36. e5 a3 37. d6 a2 und Weiß kann jederzeit seinen Läufer für den Bauern geben, wonach er wegen seiner vorgerückten Freibauern genügend Gegenspiel haben sollte.
36... ♖c3 37. ♗a6 Weiß entfernt seine Figuren vom Hauptgeschehen.
37... a3 38. ♗b7? Das erlaubt das folgende Turmmanöver.
38. ♔f6 setzt den Königsmarsch fort. Weiß hat genug Gegenspiel. 38... ♖c7 (38... ♖c2 39. ♗b7 ♖a2 40. ♖c1 ♖c2 41. ♖a1 ♖a2= ) 39. ♗d3 ♖d7 40. ♗b1=
39. d6? mit der tödlichen Idee 40. Ld5 - was Weiß vielleicht geplant hatte, scheitert an 39... f6+! 40. ♔xf6 ♖xd6+−+
39... ♖d1 40. ♖xa3 ♔xa3 41. ♔xf7? Der entscheidende Fehler.
41. ♔e7! mit der Idee den d-Bauern sofort in Gang zu setzen, scheint Weiß genügend Gegenspiel zu geben. Eine computergestützte Variante lautet 41... ♖b1 42. d6 ♗a4 43. ♗d5 ♔b4 44. ♗xf7 (44. d7 ♗xd7 45. ♔xd7 ♔c5 46. ♗xf7 ♔d4 läuft wohl auch auf Remis hinaus) 44... ♔c5 45. e5 ♖b7+ 46. ♔f6 und die starken Freibauern plus aktive Figuren kompensieren den materiellen Nachteil.
41... ♔b4−+ 42. e5 ♖a1! 43. ♔f8 ♖a7 44. ♗c6 ♔c5 45. e6 ♔d6 Im Gegensatz zu 41. Ke7 blockiert Schwarz die weißen Freibauern zuverlässig auf den schwarzen Feldern.
46. f4 h5 47. g3 ♗c2 48. h4 ♗f5 49. ♗b5 ♗xe6 50. dxe6 ♔xe6 51. ♔g8 ♔f6 52. ♗d3 ♖a3 53. ♗e4 ♖xg3 54. ♔h7 ♖g4 55. ♔h6 ♖xf4 56. ♗xg6 ♖xh4 57. ♗h7 ♖h2
0-1
Nisipeanu erholte sich zwar nach dieser Niederlage, verpasste allerdings in der letzten Runde durch ein Remis gegen IM Pavel Cech eine bessere Platzierung. Letztendlich reichte es nur für Platz zehn und schlappe 100 Euro Preisgeld.
Den größten Batzen sicherte sich mit 1200 Euro Evgeny Romanov. Der 25-jährige Russe ist in Deutschland kein Unbekannter. Er spielt in der Schachbundesliga für die Sportfreunde Katernberg und nimmt regelmäßig an offenen Turnieren teil. In Wunsiedel teilte er sich mit 5,5 Punkten und sieben weiteren Spielern die Tabellenspitze. Letztendlich setzte er sich gegenüber den punkt- und buchholzgleichen Alexander Delchev und Normunds Miezis nur dank des besseren Gegnerschnitts durch - am Ende war also wie üblich bei kurzrundigen Turnieren ein wenig Lotterie dabei.
Aus deutscher Sicht war das Abschneiden des 17-jährigen Jonas Lampert aus Hamburg erfreulich, der mit 5,5 Punkten in der Spitzengruppe landete. Der Lohn: 300 Euro und viel wichtiger...ein Plus von fast 30 Elopunkten.
Weitere Informationen entnehmt ihr bitte der offiziellen Webseite, die dank der Arbeit der Familie Zier, die das Turnier organisiert, und der Pressearbeit von Klaus Steffan einen guten Eindruck hinterlässt.
Endstand Meisterturnier 8. Wunsiedel-Schachfestival
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